Silk Stockings – ein humorvolles Musical in einer besonderen Zeit
Text: Lukas Wogrolly / Living Culture; Fotos: Werner Kmetitsch (Diashow), Lukas Wogrolly / Living Culture (Galerie unterhalb des Textes)
Natalia Mateo
Natalia Mateo und Michael Rotschopf
Michael Rotschopf
Natalia Mateo und Michael Rotschopf
Christian Scherler, Falk Witzurke und Markus Murke
János Mischuretz
Natalia Mateo und Michael Rotschopf
Rosa Maria Pace, Michael Großschädl, Savanna Haberland
Nina Weiß, Ballett Graz, Chor der Oper Graz und Statisterie
Nina Weiß, Ballett Graz und Chor der Oper Graz
Christian Scherler, Falk Witzurkge, Markus Murke, Ballett Graz und Chor der Oper Graz
Christian Scherler, Falk Witzurke
Falk Witzurke, Michael Großschädl, Michael Rotschopf, Christian Scherler
Michael Rotschopf und Natalia Mateo
Natalia Mateo und Michael Rotschopf
Nina Weiß, Ballett Graz und Chor der Oper Graz
Nina Weiß, Ballett Graz und Statisterie
János Mischuretz
Nina Weiß, Ballett Graz und Chor Oper Graz
Trotz, oder, auch wenn es keine Premiere war – jene hatte bereits vor knapp drei Monaten, um genau zu sein, am 14. Dezember, stattgefunden – war die Vorführung von „Silk Stockings“ am Abend des 7. März in der Oper Graz sehr gut besucht, ja fast ausverkauft. Ich hatte aus Reihe 5 auch recht gute Sicht auf die Bühne. Die überaus überschwänglichen Kritiken, die diese hervorragende Produktion im Dezember hervorgerufen hatte, kann ich mehr als nur sehr gut nachvollziehen. Denn es ist eine amüsante Inszenierung, die optisch wie akustisch genauso überzeugt wie dass sie eben auch viel Humor in den gesprochenen Dialogen bietet. An der Leistung der SchauspielerInnen, allen voran natürlich Natalia Mateo alias Ninotschka, ist überhaupt nichts auszusetzen. Und auch das bunte Bühnenbild und die tolle Musik sind allererste Klasse, deshalb brauche ich über all das nicht allzu viele Worte verlieren. Genau deshalb möchte ich mich nun in meiner Rezension auf einige wenige Besonderheiten beziehungsweise Details, die bisherige RezensentInnen vielleicht noch nicht unbedingt so berücksichtigt haben, fokussieren.
Der erste Punkt ist natürlich: ein Musical an einem so historisch anmutenden Ort wie die Oper Graz, das ist etwas ungewöhnlich. Intendant Ulrich Lenz, seit der letzten Spielzeit 2023/24 als Nachfolger der mittlerweile an der Semperoper in Dresden amtierenden Schweizerin Nora Schmid, in Amt und Würden, setzte von Beginn an jenen Diskurs fort, den bereits Schmid in ihrer acht Jahre währenden Intendanz begonnen hatte: die Öffnung des Hauses nach außen, die Öffnung für neues Publikum, neue Spielstätten oder eben auch neue Formate. Wie Musicals, im Stile der Vereinigten Bühnen Wien zu denen Theater an der Wien, Ronacher und Raimund Theater zählen und die das Ronacher wie das Raimund Theater zu den größten und berühmtesten Musicalbühnen unserer Republik gemacht haben. Dem will Graz mit seinem wunderschönen, freistehenden Opernhaus um nichts nachstehen, und so hieß es nun auch nicht nur: Der Lenz ist da, sondern auch die Musicals sind da.
Die zweite Besonderheit betrifft das Musical selbst: es wird erstaunlich wenig gesungen und viel gesprochen. Was gesprochen wird, sorgt eben beim Publikum oft für Lacher und für Schmunzler, und ist, im Gegensatz zum Gesang, auf Deutsch. Die Gesangseinlagen wurden hingegen auf Englisch belassen.
Und hier sind wir auch schon bei der dritten Besonderheit: Sie betrifft die eingeblendeten Übertitel: sie sind ausschließlich auf Deutsch. Und das, obwohl sie in zweifacher Ausführung vorhanden sind, also auf der Leinwand über der Bühne steht zweimal das Gleiche, direkt nebeneinander. Da eben nicht alle BesucherInnen womöglich der deutschen Sprache mächtig sind, und es beispielsweise in Italien mit Italienisch und Englisch durchaus so gehandhabt wird meiner Erinnerung nach, wäre meine Empfehlung gewesen: nicht zweimal nebeneinander den gleichen Wortlaut hinschreiben, sondern bitte einmal auf Deutsch und einmal auf Englisch. Dann verstehen es alle, man versteht auch was sie singen – und bekommt nicht nur die deutsche Übersetzung in den Übertiteln serviert. Obendrein kann man dann fast wie in einem Vokabelheft ein bisschen Englisch lernen, wenn alles auf Deutsch und direkt daneben auf Englisch steht.
Kommen wir zu Besonderheit vier: Als ich im Vorfeld, durchaus schon im Dezember damals, als das Stück ob seiner Premiere groß in den Medien war, recherchierte, fiel mir auf: Auf den Titel „Silk Stockings“, zu Deutsch „Seidenstrümpfe“, wurde in den Rezensionen wenig bis gar nicht Bezug genommen. Warum heißt das Musical dann bitte genau so, fragte ich mich. Natürlich liefert das Musical dennoch die Erklärung, weshalb es diesen Titel trägt. In einer Szene kommen sogar Seidenstrümpfe in allen möglichen Farben und Formen und Größen plötzlich von der Decke herab.
Doch zum eigentlichen Grund hier nun die genaue Erklärung, beginnend mit einem kleinen Exkurs: Die Story ist relativ einfach: In der Zeit des Kalten Krieges wird eine russische Gemeinagentin, eine überzeugte Kommunistin, von der Regierung in Moskau nach Paris geschickt, und verliebt sich dort aber in einen Amerikaner, ursprünglich ihr Gegenspieler. Der sie später in Moskau besucht und dazu führt, dass sie, bereits unsterblich verliebt in der Stadt der Liebe, sich vollkommen der westlichen Lebensart hingibt und am Ende alle beide glücklich und zufrieden leben und Russland und dem Kommunismus völlig den Rücken kehren. Mit ein Grund für die große Liebe des Amerikaners dürfte gewesen sein, zumindest wird es so vermittelt, dass die „Fast-Titelheldin“, verkörpert eben von Natalia Mateo, zunächst immer in ihrer Dienstkleidung, also mit Seidenstrümpfen, auftritt. Dabei schreckt sie nicht davor zurück, sogar 1 x den Amerikaner auf einem Sofa mit angezogenen Seidenstrümpfen UND hohen Stöckelschuhen à la ORF-Wettermoderatorin Christa Kummer zu bezirzen.
In dieser Szene werden, so erotisch und schön sie auch sein mag, gleich zwei No-Gos erkennbar: Zum einen fragt man sich, warum steigt sie mit den spitzen Stöckelschuhen aufs Sofa rauf, anstatt sie sich auszuziehen. Man darf ja auch nicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln die Schuhe auf die Sitze geben. Das wäre eben ein absolutes No-Go.
Und der zweite Punkt betrifft hier nur eine Regel, die ich in den beiden Benimmbüchern von Benimmpapst Thomas Schäfer-Elmayer so gelesen habe, und die mir vorher nicht unbedingt bekannt war: sie besagt, dass die Farbe der Strümpfe niemals dunkler sein darf, als die Farbe des dazu getragenen Rocks beziehungsweise Kleids: Das heißt, helle Strümpfe sind mit hellen und dunklen Röcken beziehungsweise Kleidern kombinierbar; dunkle Strümpfe, wie eben im Stück von Natalia Mateo alias Ninotschka getragen, ausschließlich mit dunklen Röcken beziehungsweise Kleidern, und eben nicht mit einem so hellgrünen beziehungsweise türkisen wie hier in „Silk Stockings“. Vielleicht wird aber durch diesen Kontrast die Wirkung der Strümpfe, die ja immerhin die einzig wahren „Titelhelden“ sind, noch deutlicher. Und auch die neue Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner trägt oft, unter anderem bei ihrer Antrittspressekonferenz als Frauenministerin nur einen Tag vor dieser Vorführung, also am 6. März, einen hellen Rock mit dunklen Strümpfen. Was Thomas Schäfer-Elmayer sagt beziehungsweise schreibt, ist also weder in Stein gemeißelt noch – schon gar nicht — in irgendeinen Gesetzestext.
Und hierbei sei noch eine kleine Anmerkung gestattet: Knapp zwei Monate vor dem Besuch dieses Musicals sah ich im Wiener Museumsquartier die Show „Berlin, Berlin“ eines Ensembles, das die wilde Zeit der 1920er-Jahre am Beispiel Berlins eindrucksvoll darstellte. Im Gegensatz zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, genannt Kalter Krieg, waren zum damaligen Zeitpunkt in etwa vor genau 100 Jahren, die Seidenstrümpfe noch gar nicht erfunden. Und Männer hatten andere Möglichkeiten, den Verführungen einer Marlene Dietrich oder Josephine Baker zu erliegen. Als eben dann im Kalten Krieg.
Kommen wir zur letzten Besonderheit, das ist die zeitliche und örtliche Einordnung: eine Kommunistin, die im Kalten Krieg, also in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in einer westlichen Stadt wie Paris, noch dazu genau in der Stadt der Liebe, die Liebe für die westliche, kapitalistische Lebensweise findet und dann gar nicht mehr zurück will, ist vom heutigen Standpunkt her brisant: zum einen, weil gerade eine Annäherung der USA an das immer radikaler agierende Russland unter Wladimir Putin stattfindet – dem Präsidentenwechsel an der Spitze der größten Volkswirtschaft der Welt, also Donald Trump, sei Dank. Zum anderen, weil wir mittlerweile weltpolitisch eine ähnliche Zweiteilung der Welt wie eben zur Zeit des Kalten Krieges erleben: Europa, mit den NATO-Ländern ausgenommen USA, und eben allen EU-Ländern ausgenommen Slowakei und Ungarn, bezieht klar Stellung, sich gegen Putin und mittlerweile eben auch Trump zu positionieren.
Die USA hingegen vollziehen unter ihrem neuen alten Präsidenten einen erstaunlichen Richtungswechsel, woraufhin sich das „kleine Europa“ beziehungsweise die EU ohne Ungarn und Slowakei und die NATO ohne ihren wichtigsten Bündnispartner USA einem neuen Zusammenschluss zweier Weltmächte entgegengestellt sehen, nämlich einem Bündnis aus den USA und Russland, einem Bündnis zwischen Donald Trump und Wladimir Putin.
Und was hat nun „der Westen“, gestärkt durch die Unterstützung der Ukraine im von Russland unter Putin begonnenen mittlerweile dreijährigen Angriffskrieg, dem entgegenzusetzen? Zumal die Frage ist, wer soll „den Westen“ führen: Momentan sind die Regierungschefs von zwei der drei bevölkerungsreichsten europäischen NATO-Staaten federführend, nämlich Macron in Frankreich und Starmer in Großbritannien. Das bevölkerungsreichste EU-Mitglied und NATO-Mitglied außerhalb der USA, Deutschland, scheint hier momentan nur eine Nebenrolle zu spielen, was diesen Führungsanspruch betrifft. Dies hat auch mit dem Führungswechsel an der Spitze zwischen dem noch amtierenden, aber bereits abgewählten Bundeskanzler Olaf Scholz und dem designierten neuen Bundeskanzler Friedrich Merz zu tun.
Und ein allerletzter Punkt sei hier noch die örtliche Einordnung: in Graz ein solches Stück zu spielen, hat insofern auch ein bisschen Brisanz. Ist doch Graz europaweit eine der größten kommunistischen Hochburgen, also eine der bevölkerungsreichsten Städte überhaupt, in denen die kommunistische Partei die stimmenstärkste ist.