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Silk Sto­ckings – ein humor­vol­les Musi­cal in einer beson­de­ren Zeit


Text: Lukas Wogrol­ly / Living Cul­tu­re; Fotos: Wer­ner Kme­titsch (Dia­show), Lukas Wogrol­ly / Living Cul­tu­re (Gale­rie unter­halb des Tex­tes)
Kal­ter Krieg auf der Büh­ne bunt insze­niert.

Trotz, oder, auch wenn es kei­ne Pre­mie­re war – jene hat­te bereits vor knapp drei Mona­ten, um genau zu sein, am 14. Dezem­ber, statt­ge­fun­den – war die Vor­füh­rung von „Silk Sto­ckings“ am Abend des 7. März in der Oper Graz sehr gut besucht, ja fast aus­ver­kauft. Ich hat­te aus Rei­he 5 auch recht gute Sicht auf die Büh­ne. Die über­aus über­schwäng­li­chen Kri­ti­ken, die die­se her­vor­ra­gen­de Pro­duk­ti­on im Dezem­ber her­vor­ge­ru­fen hat­te, kann ich mehr als nur sehr gut nach­voll­zie­hen. Denn es ist eine amü­san­te Insze­nie­rung, die optisch wie akus­tisch genau­so über­zeugt wie dass sie eben auch viel Humor in den gespro­che­nen Dia­lo­gen bie­tet. An der Leis­tung der Schau­spie­le­rIn­nen, allen vor­an natür­lich Nata­lia Mateo ali­as Ninot­sch­ka, ist über­haupt nichts aus­zu­set­zen. Und auch das bun­te Büh­nen­bild und die tol­le Musik sind aller­ers­te Klas­se, des­halb brau­che ich über all das nicht all­zu vie­le Wor­te ver­lie­ren. Genau des­halb möch­te ich mich nun in mei­ner Rezen­si­on auf eini­ge weni­ge Beson­der­hei­ten bezie­hungs­wei­se Details, die bis­he­ri­ge Rezen­sen­tIn­nen viel­leicht noch nicht unbe­dingt so berück­sich­tigt haben, fokus­sie­ren.

Der ers­te Punkt ist natür­lich: ein Musi­cal an einem so his­to­risch anmu­ten­den Ort wie die Oper Graz, das ist etwas unge­wöhn­lich. Inten­dant Ulrich Lenz, seit der letz­ten Spiel­zeit 2023/24 als Nach­fol­ger der mitt­ler­wei­le an der Sem­per­oper in Dres­den amtie­ren­den Schwei­ze­rin Nora Schmid, in Amt und Wür­den, setz­te von Beginn an jenen Dis­kurs fort, den bereits Schmid in ihrer acht Jah­re wäh­ren­den Inten­danz begon­nen hat­te: die Öff­nung des Hau­ses nach außen, die Öff­nung für neu­es Publi­kum, neue Spiel­stät­ten oder eben auch neue For­ma­te. Wie Musi­cals, im Sti­le der Ver­ei­nig­ten Büh­nen Wien zu denen Thea­ter an der Wien, Ronacher und Rai­mund Thea­ter zäh­len und die das Ronacher wie das Rai­mund Thea­ter zu den größ­ten und berühm­tes­ten Musi­cal­büh­nen unse­rer Repu­blik gemacht haben. Dem will Graz mit sei­nem wun­der­schö­nen, frei­ste­hen­den Opern­haus um nichts nach­ste­hen, und so hieß es nun auch nicht nur: Der Lenz ist da, son­dern auch die Musi­cals sind da.

Die zwei­te Beson­der­heit betrifft das Musi­cal selbst: es wird erstaun­lich wenig gesun­gen und viel gespro­chen. Was gespro­chen wird, sorgt eben beim Publi­kum oft für Lacher und für Schmunz­ler, und ist, im Gegen­satz zum Gesang, auf Deutsch. Die Gesangs­ein­la­gen wur­den hin­ge­gen auf Eng­lisch belas­sen.

Und hier sind wir auch schon bei der drit­ten Beson­der­heit: Sie betrifft die ein­ge­blen­de­ten Über­ti­tel: sie sind aus­schließ­lich auf Deutsch. Und das, obwohl sie in zwei­fa­cher Aus­füh­rung vor­han­den sind, also auf der Lein­wand über der Büh­ne steht zwei­mal das Glei­che, direkt neben­ein­an­der. Da eben nicht alle Besu­che­rIn­nen womög­lich der deut­schen Spra­che mäch­tig sind, und es bei­spiels­wei­se in Ita­li­en mit Ita­lie­nisch und Eng­lisch durch­aus so gehand­habt wird mei­ner Erin­ne­rung nach, wäre mei­ne Emp­feh­lung gewe­sen: nicht zwei­mal neben­ein­an­der den glei­chen Wort­laut hin­schrei­ben, son­dern bit­te ein­mal auf Deutsch und ein­mal auf Eng­lisch. Dann ver­ste­hen es alle, man ver­steht auch was sie sin­gen – und bekommt nicht nur die deut­sche Über­set­zung in den Über­ti­teln ser­viert. Oben­drein kann man dann fast wie in einem Voka­bel­heft ein biss­chen Eng­lisch ler­nen, wenn alles auf Deutsch und direkt dane­ben auf Eng­lisch steht.

Kom­men wir zu Beson­der­heit vier: Als ich im Vor­feld, durch­aus schon im Dezem­ber damals, als das Stück ob sei­ner Pre­mie­re groß in den Medi­en war, recher­chier­te, fiel mir auf: Auf den Titel „Silk Sto­ckings“, zu Deutsch „Sei­den­strümp­fe“, wur­de in den Rezen­sio­nen wenig bis gar nicht Bezug genom­men. War­um heißt das Musi­cal dann bit­te genau so, frag­te ich mich. Natür­lich lie­fert das Musi­cal den­noch die Erklä­rung, wes­halb es die­sen Titel trägt. In einer Sze­ne kom­men sogar Sei­den­strümp­fe in allen mög­li­chen Far­ben und For­men und Grö­ßen plötz­lich von der Decke her­ab.

Doch zum eigent­li­chen Grund hier nun die genaue Erklä­rung, begin­nend mit einem klei­nen Exkurs: Die Sto­ry ist rela­tiv ein­fach: In der Zeit des Kal­ten Krie­ges wird eine rus­si­sche Gemei­na­gen­tin, eine über­zeug­te Kom­mu­nis­tin, von der Regie­rung in Mos­kau nach Paris geschickt, und ver­liebt sich dort aber in einen Ame­ri­ka­ner, ursprüng­lich ihr Gegen­spie­ler. Der sie spä­ter in Mos­kau besucht und dazu führt, dass sie, bereits unsterb­lich ver­liebt in der Stadt der Lie­be, sich voll­kom­men der west­li­chen Lebens­art hin­gibt und am Ende alle bei­de glück­lich und zufrie­den leben und Russ­land und dem Kom­mu­nis­mus völ­lig den Rücken keh­ren. Mit ein Grund für die gro­ße Lie­be des Ame­ri­ka­ners dürf­te gewe­sen sein, zumin­dest wird es so ver­mit­telt, dass die „Fast-Titel­hel­din“, ver­kör­pert eben von Nata­lia Mateo, zunächst immer in ihrer Dienst­klei­dung, also mit Sei­den­strümp­fen, auf­tritt. Dabei schreckt sie nicht davor zurück, sogar 1 x den Ame­ri­ka­ner auf einem Sofa mit ange­zo­ge­nen Sei­den­strümp­fen UND hohen Stö­ckel­schu­hen à la ORF-Wet­ter­mo­de­ra­to­rin Chris­ta Kum­mer zu bezir­zen.
In die­ser Sze­ne wer­den, so ero­tisch und schön sie auch sein mag, gleich zwei No-Gos erkenn­bar: Zum einen fragt man sich, war­um steigt sie mit den spit­zen Stö­ckel­schu­hen aufs Sofa rauf, anstatt sie sich aus­zu­zie­hen. Man darf ja auch nicht in den öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln die Schu­he auf die Sit­ze geben. Das wäre eben ein abso­lu­tes No-Go.
Und der zwei­te Punkt betrifft hier nur eine Regel, die ich in den bei­den Benimm­bü­chern von Benimm­papst Tho­mas Schä­fer-Elmay­er so gele­sen habe, und die mir vor­her nicht unbe­dingt bekannt war: sie besagt, dass die Far­be der Strümp­fe nie­mals dunk­ler sein darf, als die Far­be des dazu getra­ge­nen Rocks bezie­hungs­wei­se Kleids: Das heißt, hel­le Strümp­fe sind mit hel­len und dunk­len Röcken bezie­hungs­wei­se Klei­dern kom­bi­nier­bar; dunk­le Strümp­fe, wie eben im Stück von Nata­lia Mateo ali­as Ninot­sch­ka getra­gen, aus­schließ­lich mit dunk­len Röcken bezie­hungs­wei­se Klei­dern, und eben nicht mit einem so hell­grü­nen bezie­hungs­wei­se tür­ki­sen wie hier in „Silk Sto­ckings“. Viel­leicht wird aber durch die­sen Kon­trast die Wir­kung der Strümp­fe, die ja immer­hin die ein­zig wah­ren „Titel­hel­den“ sind, noch deut­li­cher. Und auch die neue Frau­en­mi­nis­te­rin Eva-Maria Holz­leit­ner trägt oft, unter ande­rem bei ihrer Antritts­pres­se­kon­fe­renz als Frau­en­mi­nis­te­rin nur einen Tag vor die­ser Vor­füh­rung, also am 6. März, einen hel­len Rock mit dunk­len Strümp­fen. Was Tho­mas Schä­fer-Elmay­er sagt bezie­hungs­wei­se schreibt, ist also weder in Stein gemei­ßelt noch – schon gar nicht —  in irgend­ei­nen Geset­zes­text.
Und hier­bei sei noch eine klei­ne Anmer­kung gestat­tet: Knapp zwei Mona­te vor dem Besuch die­ses Musi­cals sah ich im Wie­ner Muse­ums­quar­tier die Show „Ber­lin, Ber­lin“ eines Ensem­bles, das die wil­de Zeit der 1920er-Jah­re am Bei­spiel Ber­lins ein­drucks­voll dar­stell­te. Im Gegen­satz zur Zeit nach dem Zwei­ten Welt­krieg, genannt Kal­ter Krieg, waren zum dama­li­gen Zeit­punkt in etwa vor genau 100 Jah­ren, die Sei­den­strümp­fe noch gar nicht erfun­den. Und Män­ner hat­ten ande­re Mög­lich­kei­ten, den Ver­füh­run­gen einer Mar­le­ne Diet­rich oder Jose­phi­ne Bak­er zu erlie­gen. Als eben dann im Kal­ten Krieg.

Kom­men wir zur letz­ten Beson­der­heit, das ist die zeit­li­che und ört­li­che Ein­ord­nung: eine Kom­mu­nis­tin, die im Kal­ten Krieg, also in der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts, in einer west­li­chen Stadt wie Paris, noch dazu genau in der Stadt der Lie­be, die Lie­be für die west­li­che, kapi­ta­lis­ti­sche Lebens­wei­se fin­det und dann gar nicht mehr zurück will, ist vom heu­ti­gen Stand­punkt her bri­sant: zum einen, weil gera­de eine Annä­he­rung der USA an das immer radi­ka­ler agie­ren­de Russ­land unter Wla­di­mir Putin statt­fin­det – dem Prä­si­den­ten­wech­sel an der Spit­ze der größ­ten Volks­wirt­schaft der Welt, also Donald Trump, sei Dank. Zum ande­ren, weil wir mitt­ler­wei­le welt­po­li­tisch eine ähn­li­che Zwei­tei­lung der Welt wie eben zur Zeit des Kal­ten Krie­ges erle­ben: Euro­pa, mit den NATO-Län­dern aus­ge­nom­men USA, und eben allen EU-Län­dern aus­ge­nom­men Slo­wa­kei und Ungarn, bezieht klar Stel­lung, sich gegen Putin und mitt­ler­wei­le eben auch Trump zu posi­tio­nie­ren.
Die USA hin­ge­gen voll­zie­hen unter ihrem neu­en alten Prä­si­den­ten einen erstaun­li­chen Rich­tungs­wech­sel, wor­auf­hin sich das „klei­ne Euro­pa“ bezie­hungs­wei­se die EU ohne Ungarn und Slo­wa­kei und die NATO ohne ihren wich­tigs­ten Bünd­nis­part­ner USA einem neu­en Zusam­men­schluss zwei­er Welt­mäch­te ent­ge­gen­ge­stellt sehen, näm­lich einem Bünd­nis aus den USA und Russ­land, einem Bünd­nis zwi­schen Donald Trump und Wla­di­mir Putin.
Und was hat nun „der Wes­ten“, gestärkt durch die Unter­stüt­zung der Ukrai­ne im von Russ­land unter Putin begon­ne­nen mitt­ler­wei­le drei­jäh­ri­gen Angriffs­krieg, dem ent­ge­gen­zu­set­zen? Zumal die Fra­ge ist, wer soll „den Wes­ten“ füh­ren: Momen­tan sind die Regie­rungs­chefs von zwei der drei bevöl­ke­rungs­reichs­ten euro­päi­schen NATO-Staa­ten feder­füh­rend, näm­lich Macron in Frank­reich und Star­mer in Groß­bri­tan­ni­en. Das bevöl­ke­rungs­reichs­te EU-Mit­glied und NATO-Mit­glied außer­halb der USA, Deutsch­land, scheint hier momen­tan nur eine Neben­rol­le zu spie­len, was die­sen Füh­rungs­an­spruch betrifft. Dies hat auch mit dem Füh­rungs­wech­sel an der Spit­ze zwi­schen dem noch amtie­ren­den, aber bereits abge­wähl­ten Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz und dem desi­gnier­ten neu­en Bun­des­kanz­ler Fried­rich Merz zu tun.
Und ein aller­letz­ter Punkt sei hier noch die ört­li­che Ein­ord­nung: in Graz ein sol­ches Stück zu spie­len, hat inso­fern auch ein biss­chen Bri­sanz. Ist doch Graz euro­pa­weit eine der größ­ten kom­mu­nis­ti­schen Hoch­bur­gen, also eine der bevöl­ke­rungs­reichs­ten Städ­te über­haupt, in denen die kom­mu­nis­ti­sche Par­tei die stim­men­stärks­te ist.

Musi­ka­li­sche Lei­tung: Koen Schoots / Ste­fan Birn­hu­ber (Mai: 15, 16)
Insze­nie­rung: Max Hopp
Cho­reo­gra­phie: Mar­ti­na Bor­ro­ni
Büh­ne & Kos­tü­me: Marie Caro­li­ne Röss­le
Dra­ma­tur­gie: Chris­tin Hage­mann
Nina Yaschen­ko, genannt Ninot­sch­ka: Nata­lia Mateo
Janice Day­ton: Nina Weiß
Ste­ve Can­field: Micha­el Rot­schopf
Iwa­now: Mar­kus Mur­ke
Bran­kow: Falk Witz­ur­ke
Mar­ko­witsch: János Mischu­retz
Fr. 14.03.2025 19:30 bis ca. 22:15 Opern­haus Haupt­büh­ne
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Sa. 15.03.2025 19:30 bis ca. 22:15 Opern­haus Haupt­büh­ne
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Sa. 26.04.2025 19:30 bis ca. 22:15 Opern­haus Haupt­büh­ne
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Mi. 30.04.2025 19:30 bis ca. 22:15 Opern­haus Haupt­büh­ne
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Do. 15.05.2025 19:30 bis ca. 22:15 Opern­haus Haupt­büh­ne
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Zum letz­ten Mal Fr. 16.05.2025 17:30 bis ca. 20:15 Opern­haus Haupt­büh­ne
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