“Schwanda, der Dudelsackpfeifer” an der Oper Graz
Text: Lukas Wogrolly / Living Culture; Fotos: Oper Graz
Ich beginne diese Rezension eines Stücks, das ich am Vorabend als reguläre (nicht, zumindest nicht wenn es nach dem Spielplan der diesjährigen Spielzeit 2020/21 geht, coronabedingt verschobene) Premiere erleben durfte, etwas ungewöhnlich und unorthodox. Nämlich mit einer indirekten Zitation aus einem Wikipedia-Artikel. Obwohl mir bewusst ist, dass Wikipedia als Quelle mit Vorsicht zu genießen sei, verwendete ich die Online-Enzyklopädie als Vorbereitung auf „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“. Darin heißt es: Die hier vorliegende Oper hätte außerhalb ihres Entstehungslandes Tschechien größeren Erfolg gehabt als innerhalb. Sozusagen Nemo profeta in patria auch Jaromír Weinberger. Und weiter: Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet dieses Stück weitestgehend in Vergessenheit, wurde jedoch Anfang des vergangenen Jahrzehnts, also Anfang der 2010er-Jahre, in Dresden eindrucksvoll in Szene gesetzt. Und wie schon letzten Abend vermutet und auch mir allgemein bekannt, war in dieser Zeit die derzeitige geschäftsführende Intendantin der Oper Graz, Nora Schmid, als eine Art Assistenz der Intendanz in Dresden tätig. Sie dürfte also aus dieser Zeit recht viele Eindrücke von „Schwanda“, wie ich die zweiaktige Märchenoper in weiterer Folge nennen darf, in ihre Zeit in Graz mitgenommen haben. Und daher die Idee dieser Inszenierung gehabt haben. Das alles ist reine Hypothese, denn ich konnte bis jetzt die geschätzte Frau Intendantin noch gar nicht persönlich dazu befragen. Ist aber vielleicht auch nicht unbedingt nötig. In jedem Fall habe ich diese Hypothese gestern Abend, als ich mir am Presseschalter die Premierenkarte abholte, im Gespräch mit Oper-Graz-Marketinglady Julia Aichholzer geäußert.
So viel nun also zu meinem persönlichen Zugang, jetzt zur Oper selbst. Sie verführt und entführt uns einmal mehr in eine Traumwelt, märchenhaft-kitschig mit überzogenem Pathos und überzogenen Elementen. Der Kontrast zwischen dem eisigen Eispalast der Eiskönigin und den Pinguinen in Akt 1 und der heißen Hölle mit den vielen in gepolsterten Kostümen steckenden Teufeln und Teufelinnen in Akt 2 ist eklatant. Untermauert natürlich durch die große farbliche Dissonanz. Auch, dass viele oder sogar alle die noch in Pinguinkostümen gesteckt waren, dann auch bei der Verbeugung die heißen Höllenkostüme tragen, also praktisch eine Doppelrolle auffüllen und sich keine Pinguine verbeugen, fällt auf. Weiters herausragend, auch im wortwörtlichen Sinn aber nicht nur, ist die Tatsache, dass mit dem Dudelsack ein Instrument im Mittelpunkt steht, das wir eher als charakteristisch für die schottische Kultur, und wohl viel weniger für die tschechische, betrachten. Der tschechische Dudelsackpfeifer Schwanda. Dieses Instrument wird, wie es im Programmheft heißt, jedoch kein einziges Mal wirklich gespielt, denn die Musik kommt nicht – wie bei so manchem Konzert – Playback vom Band, aber eben auch nicht aus dem Dudelsack. Sondern natürlich aus dem Orchestergraben. Da sind wir nun schon beim Dirigenten Robert Jindra, ein Tscheche für ein tschechisches Stück, gut so. Und wollen weiters noch erwähnen, dass sich die Handlung auf einige wenige Hauptfiguren beschränkt, deren Leistung mehr als überzeugend wirkt. Am meisten Beifall bekommt neben dem Titelheldendarsteller Petr Sokolov der Darsteller des charismatischen Räubers Babinský, Matthias Koziorowski. Allgemein wirkt die Inszenierung keineswegs überzogen und überzeichnet, viele Multimediaelemente machen das Stück, wenn auch gänzlich unbekannt, zu einer fantastischen Show im modernen Zeitalter des 21. Jahrhunderts. Auch für Kinder eine feine Sache, die Nähe zu speziell für das junge Publikum geschriebenen Stücken lässt sich nicht leugnen. Und ein paar Sachen zum Lachen sind auch dabei. Natürlich hat diese Oper vielleicht nicht die historische, barocke Eleganz bekannterer Komponisten, aber dafür eben wesentlich mehr Farbe, mehr Show und mehr Remmidemmi. Auch die Grenze zum Musical ist nicht allzu weit. Wer eine Oper erleben möchte, wie es sie nicht oft zu sehen gibt, außer bei den eigens für Kinder angelegten Produktionen, ist bei „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ in jedem Fall richtig. Der tosende Applaus mit Standing Ovations von Seiten des Premierenpublikums am 18. Dezember möge hierfür die beste Empfehlung sein.
Schwanda, der Dudelsackpfeifer
Švanda dudák
Oper in zwei Akten (fünf Bildern) ~ Libretto von Miloš Kareš
In tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Empfohlen ab 14 Jahren
Ein veritabler Hahnenschrei im Orchester führt uns auf Schwandas Bauernhof, wo seine Frau Dorotka das Federvieh hütet. Der Räubersmann Babinský verlockt Schwanda zu Abenteuern in der weiten Welt, und schon lässt er seine Angetraute zurück. Mit seinem Dudelsackspiel erwärmt er das Herz der Eiskönigin. Als sie allerdings erkennt, dass er bereits verheiratet ist, muss sein Kopf rollen. Wie durch Zauberhand verwandelt sich das Henkersbeil in einen Besen, aber Schwanda entkommt nur für einen kurzen Moment der Gefahr, denn ein unbedachtes Wort katapultiert ihn direkt in die Hölle, wo sich der Teufel unendlich langweilt. Schwanda weigert sich standhaft, dem Höllenfürsten etwas auf seinem Dudelsack vorzuspielen. Zwar gelingt es dem Teufel, Schwanda die Seele abzuluchsen, doch Babinský ist gerissener als der Teufel selbst. Er befreit Schwanda aus der Hölle und bringt ihn zu Dorotka zurück. Daheim ist’s am schönsten, denn hier „hört man die Gänse schrein, kräht auch der Hahn“.
Die Grazer Neuproduktion inszeniert Dirk Schmeding, der mit Janáček-Inszenierungen und zuletzt „Rusalka“ in Braunschweig mit dem tschechischen Repertoire bestens vertraut ist. Für authentisch tschechische Klangpracht sorgt Robert Jindra.
Die Oper Graz hält sich an die gesundheitspolitischen Vorgaben der Regierung.
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