Oliviero Toscani im Atelier Jungwirth
Text: Living Culture, Fotos: Living Culture (5), Oliviero Toscani (14)
Exzentrisch. Das fällt einem auf, wenn man Oliviero Toscani zu so allgemeinen Fragen über Österreich und Italien befragt. Was halten Sie von Österreich, was halten Sie von Italien. In beiden Fällen meint er, Österreicher und Italiener seien exzentrischer als zum Beispiel die Deutschen. Und exzentrisch ist genauso seine Fotografie. Der renommierte Fotograf Christian Jungwirth gestaltete schon unzählige Cover von Living Culture. Und betreibt das Atelier Jungwirth am Opernring, wo er laufend andere Fotografen ausstellen lässt. Nun also Oliviero Toscani. Seine Bilder polarisieren, erregen die Gemüter. Nackte Haut. Eine Nonne wird geküsst. Ein neugeborenes Kind. Toscanis Kunst ist nichts für schwache Nerven. Bekannt wurde Oliviero Toscani vor allem durch die Benetton-Werbesujets von 1982 bis 2000. Mit seinen grenzwertigen Foto-Sujets verhalf er sozialen Randgruppen zu mehr Aufmerksamkeit. Genauso aber auch jenen Marken die ihn beauftragten. So exzentrisch und polarisierend seine Kunst ist, so ruhig und untypisch italienisch beantwortete er meine Interview-Fragen. Zu sehen ist Oliviero Toscani noch bis 25. Jänner 2020 im Atelier Jungwirth.
21. Oktober 2019 bis 25. Jänner 2020. Mi-Fr 14–17, Sa 11–15 und auf Anfrage
Atelier Jungwirth
Graz, Opernring 12
OLIVIERO TOSCANI IM GESPRÄCH MIT LIVING CULTURE
Herr Toscani, die Ausstellung die von Ihnen derzeit im Landhaushof in Graz läuft, trägt den Titel „razza umana“ – zu Deutsch „menschliche Rasse“. Im Zusammenhang mit Menschen ist es im Deutschen mittlerweile verboten, den Ausdruck „Rasse“ zu verwenden. Auch weil ihn die Nationalsozialisten des Langen und Breiten eben bei den Menschen verwendet haben. Was sagen Sie dazu?
Ja, das ist deshalb falsch, weil es nur eine einzige menschliche Rasse gibt. Die Nationalsozialisten sind ja davon ausgegangen, dass es mehrere unterschiedliche Menschenrassen gibt. Das stimmt aber nicht. Sie haben den Begriff Rasse mit dem Begriff Nation gleichgesetzt. Die menschliche Rasse ist in Nationen unterteilt. Aber es gibt nur eine einzige Rasse der Menschen. Und der Begriff „razza umana“ bezeichnet eben alle Menschen zusammen.
Wie sind Sie hier zu dieser Ausstellung gekommen? Was verbindet Sie mit Christian Jungwirth, dem österreichischen Fotografen Christian Jungwirth?
Er ist zu mir nach Italien gekommen. Ich habe einen Workshop organisiert in Rimini. Im großen Hotel von Fellini. Dann sind wir in Kontakt geblieben. Und über meine Assistentin Susanna hat er diese Ausstellung dann organisiert. Sehr gut, weil er ist ein sehr guter Fotograf.
Ich habe gelesen, dass zumindest die Hälfte der von Ihnen hier im Atelier Jungwirth ausgestellten Werke von Facebook zensuriert werden würde. Mit anderen Worten, wenn jemand diese Bilder alle auf Facebook stellen wollen würde, wäre das nicht möglich, weil viele von ihnen als „obszöner Inhalt“ eingestuft würden. Was sagen Sie dazu?
Ich denke, dass Facebook sehr alt ist. Facebook ist ein Schmelztiegel der Blödheit der gesamten Welt. Alle Blöden sind auf Facebook, in alphabetischer Reihenfolge. Das einzig Produktive was Facebook gemacht hat, war die Blöden in eine alphabetische Reihenfolge zu bringen.
Ich habe gelesen, Sie waren/sind politisch engagiert. Zuerst bei der Partei „I Radicali“ (Die Radikalen), eine Partei der Mitte die im Europäischen Parlament zur Gruppe der Liberalen gehört. Und jetzt sind Sie aber beim Partito Democratico, also den Sozialdemokraten, wie hier in Österreich die SPÖ. Die sind aber Mitte-Links…
I Radicali / Die Radikalen sind keine politische Partei. Sondern eine Einstellung. Keine politische Zugehörigkeit, sondern eine philosophische. Eine ethische. Ich bin Mitglied des PD, Partito Democratico geworden, nachdem Matteo Renzi verloren hatte. Um zu zeigen, dass man keine Angst haben darf, zu verlieren. Und ich bin links, ich bin nicht rechts. Ansonsten macht rechts / links nicht viel Sinn. Aber ja, ich bin links. Und es ist nicht so dass es keine Ideale mehr gibt. Es gibt Ideale. Und es ist nicht so, dass ich aktiv Politik mache. Aber ich denke, dass meine Arbeit mit der Zeit, auf lange Sicht hin, politisches Engagement mit sich bringt. Ich halte eine bestimmte Art von Politik nicht aus. Und ich unterstütze hingegen eine andere Art von Politik.
Was fallen Ihnen für spontane Assoziationen zu Ihrem Leben ein?
Die Zivilgesellschaft. An der Zivilgesellschaft teilnehmen. Für manche gibt es den Rechtsstaat und für andere nicht. Wegen der ökonomischen Unterschiede gibt es die Reichen und die Armen. Verschiedene Klassen. Wir leben in keinem Rechtsstaat. Wir sagen das zwar, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Aber es ist nicht wahr. Für manche gibt es den Rechtsstaat und für andere nicht. Solange es den Rechtsstaat nicht für alle gibt, solange ist die Welt kein Rechtsstaat. Das einzige Thema mit dem wir uns befassen müssen, heißt Menschheit. Alles was wir machen, muss für die Menschheit sein.
Was fällt Ihnen spontan zu Österreich ein?
Ich habe nie in Österreich gelebt. Ich bin oft hierhergekommen. Mir gefällt es, dass die ÖsterreicherInnen so exzentrisch sind. Sie sind die Exzentrischsten unter allen Germanischen. Weil sie sind die Leute südlich von Deutschland. In Italien heißen die aus dem Süden „terroni“. In Italien sind sie auch exzentrisch. Jetzt kann man das nicht generalisieren. Aber in Österreich gibt es auch exzentrische Genies, großartige Künstler. Und dann sind sie auch ein bisschen verrückt, die ÖsterreicherInnen. Ja, es gibt Verrücktheit in Österreich. Ich weiß nicht, warum. Es gibt die Berge. Im Gegensatz zu Italien ist Österreich überall ähnlich. Es gibt nicht so Unterschiede zwischen Norden und Süden wie in Italien. Aber es gibt den Unterschied zwischen West und Ost. Auf der einen Seite eben eher westlich. Und auf der anderen Seite auch nahe am Osten. Im Osten spürt man den Geist des Ostens. Österreich ist viel kompakter als Italien oder ein anderes europäisches Land. In der Schweiz ist das anders, da gibt es die französischen, die italienischen und die deutschen. Und auch Belgien ist heterogener als Österreich. Dort gibt es das Flandrische, das Französische. Da gibt es Unterschiede. Hier hingegen sprechen alle dieselbe Sprache. Die nicht mal eure ist.
Was ist für Sie Kultur?
Der Menschliche Körper und das Blut. Das Blut was im menschlichen Körper. Das was uns leben lässt. Kultur ist Zivilisation, im sozialen Sinn. Und Kunst. Im kritischen Sinn. Im menschlichen Sinn Die Kultur ist die eine einzige.
Danke für das Gespräch.
Sehr großer Andrang bei der Vernissage am 17.10.2019 im Atelier Jungwirth
Hausherr Christian Jungwirth (Mitte) kurz vor Ausstellungseröffnung
Living Culture Chefredakteur Lukas Wogrolly mit Oliviero Toscani
Oliviero Toscani im Gespräch mit Living Culture Chefredakteur Lukas Wogrolly