„Neue Zeiten: Österreich seit 1918“ im Haus der Geschichte Österreich HDGÖ
Text: Lukas Wogrolly / Living Culture; Fotos: Lorenz Paulus / hdgö (2), hdgö (21), Living Culture (16)
Lukas Wogrolly mit Bürgermeisterin Andrea Holzner
hdgö-Direktorin Monika Sommer (links) und Fugging-Bürgermeisterin Andrea Holzner
Das zur Österreichischen Nationalbibliothek ÖNB gehörende Haus der Geschichte Österreich HDGÖ ist zwar, wie die ÖNB, Teil des großen Gebäudekomplexes der Wiener Hofburg. Die unter anderem auch die Bundespräsidentschaftskanzlei genauso wie den Großen Redoutensaal, in dem während des Parlamentsumbaus Nationalrat und Bundesrat provisorisch tagen, umfasst. Und dennoch betritt man das HDGÖ im Gegensatz zur ÖNB nicht vom Josefsplatz, sondern vom Heldenplatz. Im zweiten Stock des Bauteils, in dem auch unter anderem eine Sammlung alter Musikinstrumente sowie das Ephesos Museum untergebracht ist, befindet sich jener Balkon, von dem Hitler aus im März 1938 eine geschichtsträchtige Rede hielt. Bis heute ist unklar, wie es mit diesem historisch stark belasteten Altan der Neuen Burg weitergehen soll. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem damaligen Beginn der bis heute andauernden Aufarbeitung der NS-Zeit wurde dieser Balkon lediglich einmal genützt, und zwar im Jahr 1992 für einen Friedensvortrag. Im Bereich unmittelbar davor im Gebäudeinneren, genannt Alma-Rose-Plateau, finden regelmäßig vom Haus der Geschichte Österreich organisierte Ausstellungen statt, die – irgendwie passend zum historischen Hintergrund des Balkons – stets mit der NS-Diktatur zu tun haben. So besuchte ich beispielsweise am letzten und vorletzten Tag Mitte November eine Ausstellung in der Portraits in Polen lebender Juden unter dem Deckmantel eines damaligen Forschungsprojekts zweier Angestellter des Naturhistorischen Museums zur Schau gestellt wurden. Oder, als Nachfolgeausstellung sofern es der Lockdown zulässt, eine Ausstellung mit dem Titel „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“. Doch widmen wir uns nun dem Hauptteil des HDGÖ zu. Er befindet sich einen Stock tiefer, im 1. Stock der Neuen Burg, also jenes Teils der Wiener Hofburg, den man vom Heldenplatz aus betritt. Ein großer Raum ist dort einer Dauerausstellung gewidmet, die die jüngste Geschichte von Österreich zum Thema hat. „Neue Zeiten: Österreich seit 1918“ behandelt so ziemlich alles von der Historie unseres Landes, was nach der Habsburger-Zeit kam. Man könnte also auch betiteln „Österreich ohne die Habsburger-Monarchie-Zeit“ oder „Österreich seit dem Ende der Habsburger-Monarchie“. Dabei sticht vor allem die Vielfältigkeit ins Auge. Und obwohl einem roten Faden der Chronologie der Ereignisse folgend – je mehr man sich vom Eingang wegbewegt umso mehr bewegt man sich in der Geschichte des Laufs der Jahre vorwärts, also in Richtung modernere Zeiten – umfasst diese Dauerausstellung auch unterschiedliche Thematiken. Und ist somit nicht rein chronologisch aufgebaut. Das erste markante Thema – ich will hier jetzt zugunsten der Subjektivität und Eigenständigkeit des Textes nicht alle vollzählig auflisten, sondern verweise diesbezüglich auf die Homepage des HDGÖ – ist zweifellos jenes der Rolle der Frau. Schon im Foyer des HDGÖ im 1. Stock wird dies deutlich genauso wie im einzigen Bereich des großen Ausstellungssaales der vom Eingang aus gesehen links und nicht rechts liegt. Da findet sich ein Sitzbereich für Vorträge fast wie ein griechisches Theater mit Zuschauerrängen, eine interaktive Station zum Thema Wahlen oder eben auch die Rolle des Wahlrechts verbunden mit dem Wahlrecht der Frau, das sich ja bekanntlich erst allmählich entwickelte. Ein weiterer Themenbereich, der vor allem in der Zeit ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 zum Ausdruck kommt, ist die österreichische Identität. Filme werden gezeigt von Länderspielen österreichischer Fußball-A-Nationalmannschaften der Herren und Frauen, es gibt einen Doppelmayr-Sessellift zum Probesitzen, der aus den 1960er-Jahren zu sein scheint. Oder auch weitere Sporthighlights als Teil der österreichischen Identität, die über den kleinen Bildschirm flimmern. Identität, ein etwas vager Begriff. So ähnlich, wie mir das erklärt wurde in einer Führung am 10. Oktober von Frau Maierhofer, was den Begriff Austrofaschismus oder Ständestaat anlangt. Für die Zeit ab 1934, als die Republik von den Christlichsozialen unter Dollfuß und später Schuschnigg ausgeschaltet worden war und Österreich – kurz vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1938 – autoritär regiert wurde, gibt es praktisch keinen historisch neutralen Begriff. Insofern kann auch die Wortwahl, ob man nun von Austrofaschismus oder Ständestaat spricht, erkennen lassen, aus welcher Perspektive man diese historische Epoche betrachtet beziehungsweise welcher politischen Gesinnung man ist. Die Aufarbeitung der NS-Zeit ab 1945 zieht sich als Thema wie ein unsichtbarer roter Faden durch die gesamte Dauerausstellung. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang auch die oft hetzerische Rolle der FPÖ genannt. Beispielsweise in Form von Wahlplakaten, im Zusammenhang mit dem Attentat auf die Roma und Sinti im Burgenland 1993 oder auch bei der Veranschaulichung des „Österreich zuerst“-Volksbegehrens initiiert von Jörg Haider Anfang der 1990er-Jahre, das zu zahlreichen Protesten und Massendemonstrationen führte. Doch auch die Rolle des ehemaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim in der NS-Zeit wird anhand eines Kurzvideos einer Protest-Demonstration in der Wiener Innenstadt 1986 und weiterer Exponate durchleuchtet. Die letzten beiden Themen die ich ansprechen möchte, sind die Grenzen sowie das Aktuelle. Der Euro als neues gesetzliches Zahlungsmittel ab 1999 (im bargeldlosen Zahlungsverkehr) beziehungsweise ab 2002 (als Bargeld) und der Wegfall der Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union dank dem Schengener Abkommen sind zwei Meilensteine die zwischen 1990 und 2020 die Grenzen innerhalb der Europäischen Union immer kleiner werden ließen und die einzelnen Mitgliedsstaaten immer mehr aufeinander zukommen. Österreich, seit 1.1.1995 dank dem Referendum vom 12.6.1994 bekanntlich Teil der EU, hat dabei eine ganz zentrale Rolle. Und dennoch, im hintersten Teil der Dauerausstellung der im entlegensten Teil des Raumes liegt, wird uns bewusst, dass gerade seit 2020 das Ziehen von Grenzen und die Abgrenzung auch eine ganz wichtige Rolle spielen in der heutigen Zeit, mehr denn hier. Hierfür seien zwei eindrucksvolle Beispiele genannt, die ich mir in dieser Ausstellung auf detaillierte und einprägsame Art und Weise zu Gemüte führte. Zum einen natürlich, die bald zwei Jahre andauernde Corona-Krise die auf der einen Seite das Schengener Abkommen teils wieder außer Kraft setzte beziehungsweise bis heute dazu führt, dass für Aufenthalte in einem anderen Land, und sei es auch „nur“ ein anderes EU-Nachbarland wie die Gründungsmitglieder Deutschland und Italien, eine Reihe von Auflagen nötig ist. Wie ein Impfzertifikat, genannt „Grüner Pass“, die genaue Bekanntgabe von Aufenthaltsdauer und ‑ort, et cetera. Und zum anderen führt die Corona-Krise auch dazu, dass zur Maxime wurde „Meine Freiheit endet dort, wo die des anderen beginnt“. Das zeigt sich dadurch, dass man sich zum Wohle der anderen und der gesamten Gemeinschaft impfen lassen sollte und Gedanken wie „Was geht die anderen mein Gesundheitszustand an“ fehl am Platz sind in der heutigen Zeit. Genauso wie zu Beginn beziehungsweise im ersten Jahr der Corona-Krise, als es noch keinen wirksamen Impfstoff gab, neben dem Maskentragen das Abstandhalten mit bis zu 2 m alleroberstes Gebot war. Als Symbol und auch über die Grenzen Österreichs wohl mittlerweile bekannt, diente hierzulande der berühmte Babyelefant, von dem sich selbstverständlich auch ein Exponat ganz hinten in dieser Dauerausstellung befindet. „Meine Freiheit endet dort, wo die des anderen beginnt“ – das wird jedoch nicht nur durch die Corona-Krise deutlich. Das jüngste Ausstellungsstück bei dessen feierlicher Einführungszeremonie ich hautnah dabei sein durfte, ist eine der letzten Ortstafeln von „Fucking“, einem Teil der oberösterreichischen Gemeinde Tarsdorf. Heute heißt „Fucking“ „Fugging“ auf Initiative der Bürgermeisterin Andrea Holzner die wegen zahlreicher Beschwerden von BewohnerInnen diese Umbenennung letztendlich durchgesetzt hatte. Doch wie war es dazu gekommen? Aufgrund des immer stärker werdenden Einflusses von Influencern (man beachte das bewusste Wortspiel Einfluss – Influence) und der immer beliebteren Sozialen Medien wie YouTube, Facebook, Instagram, Twitter und Co. und der im Englischen „besonderen“ Bedeutung des Ausdrucks „fucking“ wurde die „Fucking“-Ortstafel häufig gestohlen. Doch damit bei weitem nicht genug: Ein dänischer Blogger drehte die obszönsten und grenzverletzendsten Videos im Zusammenhang mit diesem Namen, als er in die oberösterreichische Gemeinde reiste. Er war nur ein Beispiel von vielen Grenzübertretungen, bei denen BewohnerInnen und auch Kinder belästigt wurden. Bis eben es Bürgermeisterin Andrea Holzner zu viel wurde und sie dem „Fucking“-Namen, wie er auch im Exponat durchgestrichen ist, durch die Umbenennung in „Fugging“ ein Ende setzte. Die Freiheit des einen endet dort, wo jene des anderen beginnt. Ich verfolgte diese Fucking/Fugging-Debatte über die Medien und, nachdem ich mich über Facebook mit Andrea Holzner in Verbindung gesetzt hatte, wurde ich auch eingeladen, eben der feierlichen Übergabe der „Fucking“-Ortstafel im HDGÖ Anfang September 2021 beizuwohnen. Im Beisein von einer Delegation aus „Fugging“ angeführt von der Bürgermeisterin erlebte ich einen Kurzvortrag von HDGÖ-Leiterin Monika Sommer zu dieser Thematik sowie eine Kurzführung durch die Ausstellung von HDGÖ-Mitarbeiterin Laura Langeder. Hierzu sei auf die vielen Fotos in der an diesen Text angehängten Galerie verwiesen. Alles in allem kann man sagen, diese Dauerausstellung beginnt mit der Botschaft „Welche Rolle hat(te) die Frau“ und endet mit „Die Freiheit des einen endet dort, wo jene des anderen beginnt“ – eindrucksvoll veranschaulicht in der heutigen Zeit anhand der einprägenden Beispiele Corona und Fucking. Wer auch gerne das HDGÖ beziehungsweise diese Dauerausstellung besuchen möchte, eventuell zusammen mit der Wechselausstellung im 2. OG auf dem Alma-Rose-Plateau neben dem berühmten, aber dauerhaft gesperrten Heldenplatz-Balkon, der kann dies in Nicht-Lockdown-Zeiten selbstverständlich machen. In diesem Sinne: Auf viele eindrucksvolle Erlebnisse im HDGÖ, wie ich sie bereits erleben durfte! Die Geschichte nach der Habsburger-Zeit auf kreative, vielfältige und dennoch auch chronologische Art umgesetzte Art – das bietet das HDGÖ am Wiener Heldenplatz!