Mehr Grünraum für Graz — Stadträtin Judith Schwentner
Text: Lukas Wogrolly; Fotos: Fischer (1), Living Culture (15)
Sehr geehrte Frau Stadträtin Schwentner, Sie sind das dienstjüngste Mitglied der Grazer Stadtregierung. Wie sehen Sie Ihren etwas außergewöhnlichen Werdegang bis hin zur Stadträtin?
Ja, also ich habe ja bekanntlich Russisch studiert. Und auch länger in Russland gelebt. Und dann war da eine Unterbrechung in der ich meine beiden Kinder bekommen habe.
Sie waren ja auch Chefredakteurin der Straßenzeitung „Megaphon“…. Ja, das war nach dem Russisch und Russland meine zweite prägende Zeit. Da habe ich sehr viel über meine Heimatstadt Graz und die soziale Ausgrenzung gelernt. Wie geht es den Menschen am Rand der Gesellschaft. Da habe ich auch gelernt, einen Blick zu werfen auf Asylwerber und Zugewanderte. Und da war ich dann eben auch die Leiterin dieses Sozialprojektes. Denn das Megaphon ist ja weit mehr als nur eine Straßenzeitung, nämlich eben ein Sozialprojekt der Caritas. Und so bin ich über meinen Background in die Politik gekommen. Zu den Grünen. Da war ich ab 2008 Abgeordnete zum Nationalrat. Und hab mich um die Bereiche Sozialpolitik, Frauenpolitik, Familie und Pflege gekümmert. Bis zur Nationalratswahl 2017, bei der bekanntlich niemand von den Grünen auch nur ein Mandat erringen konnte. Im Anschluss an die Nationalratswahl 2017 war ich kurz im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, bei der Caritas. Und seit Jänner 2019 bin ich eben Stadträtin. Da bin ich echt froh, nach zehn Jahren des Pendelns nun wieder ganz in Graz sein zu können. Ganz für meine Stadt da sein zu können. Denn „Ich bin eine Tochter dieser Stadt“. Und ich freue mich, meinen Beitrag für das Zusammenleben und für das Klima, die Luft in dieser Stadt leisten zu können. Hier lässt sich nun alles zusammenführen. Und der Kreis schließt sich.
Und Apropos Nationalratswahl: Die Umfragewerte Ihrer Partei sind ja im zweistelligen Bereich nach dem tollen Erfolg zuletzt bei der EU-Wahl im Mai. Was können Sie dazu sagen…?
Was glauben Sie, was schaffen die Grünen am 29. September für ein Ergebnis? Wie schafften sie den Umschwung? Also, erst einmal wünsche ich mir nur den Wiedereinzug ins Parlament. Das Überspringen der 4%-Hürde. Alles darüber hinaus wäre wunderbar. Denn es braucht einfach eine Stimme für soziale Gerechtigkeit und für Klimaschutz.
Kommen wir nun zur Grazer Stadtpolitik. Sie sind als Grüne Stadträtin ja in einer etwas besonderen Situation, die Sie sich mit den KPÖ-Stadtsenatsmitgliedern Kahr und Krotzer teilen. Auf der einen Seite sind Sie Mitglied der Stadtregierung, also der Exekutive, und auf der anderen Seite hat aber Ihre Partei im Gemeinderat, also in der Legislative, keine Mehrheit. Und somit kann jedes Vorhaben von Ihnen von Schwarz und Blau überstimmt werden. Und umgekehrt können ÖVP und FPÖ auch Sie dazu bringen, etwas tun zu müssen das gar nicht in Ihrem Sinn ist (z. B. wenn eine dringliche Anfrage von den Regierungsparteien durchgeht, die beinhaltet dass Sie aufgefordert werden, dass Sie z. B. die Vorzüge von Olympia oder von der Plabutschgondel in Ihrer Funktion als Stadträtin ausarbeiten müssen).
Daher meine Frage? Wie gehen Sie mit dieser Situation um? Und wünschen Sie sich vielleicht angesichts dessen auch die Abschaffung des Proporzes auf Kommunalebene? Sehen Sie sich deshalb in Ihrem Handlungsspielraum beschränkt? Und haben Sie allgemein das Gefühl, Sie könnten als Stadträtin in Ihren Ressorts viel mehr erreichen, wenn sich nicht immer wieder die schwarz-blaue Mehrheit im Gemeinderat dagegenstellen würde?
Also, diese fehlende Mehrheit gibt es nicht nur im Gemeinderat, sondern auch im Stadtsenat. Und das ist daher so eine schizophrene Situation, die dem Proporz geschuldet ist. Wir Grünen waren immer schon gegen den Proporz. Denn der Proporz erschwert Arbeitsprozesse. Klimaschutz und Naturschutz sind zwei zentrale Themen. Und auch die sozialen Fragen. Darum kümmern wir Grüne uns. Und wir haben halt nur eine sogenannte Korrektivfunktion inne.
Nun zu Ihren Ressorts. Es gibt ein paar Projekte die ich nennen möchte, weil sie mir spontan eingefallen sind. Könnten Sie diese ein bisschen näher erläutern:
„Ist Luisa da?“
Als ich mich auf meine Rolle als Stadträtin sehr gut vorbereitet habe, war ich ein bisschen unterwegs, um mir Anregungen für meine Arbeit zu holen. Und in Innsbruck habe ich eben dieses Projekt kennenlernen dürfen. Es kommt aus dem angelsächsischen Raum, wo es Angela heißt, und hat dann über Deutschland auch in Innsbruck fußgefasst. In Deutschland ist es, wie gesagt, schon sehr weit verbreitet. Und es dient, Frauen vor sexueller Belästigung und Gewalt zu schützen. Indem Frauen, wenn sie sich bedroht fühlen beziehungsweise in Bedrängnis sind in einem Lokal, ein Codewort nennen können. Das Ganze ist eine Sensibilisierungskampagne. Denn Sexuelle Belästigung und Gewalt sind heutzutage Tabuthemen. Interessierte Lokale bekommen eine Schulung durch das Frauenreferat und nehmen an einer Informationsveranstaltung teil, zu der auch VertreterInnen sowohl der Polizei als auch der Wirtschaftskammer geladen werden. Da geht es dann um den sogenannten gesetzlichen Pograpschparagraphen und um die Verankerung von sexueller Belästigung im Strafrecht. Die Vorgehensweise ist relativ einfach beziehungsweise hängt vom Kontext ab. Es kann sein, dass die entsprechende Frau einfach nur weg will. Oder dass ihre Handtasche auf der Toilette ist und sie bittet, dass sie geholt wird. In manchen Fällen reicht zur Beseitigung des Missstandes ein einfaches Gespräch. In anderen Fällen ist es wiederum auch notwendig, die Polizei zu rufen.
„Mehrwegbecher-Pfandsystem“
Das ist ein gut eingefahrenes System mittlerweile, das ja seinen Ursprung bei meiner Vorgängerin Tina Wirnsberger hat. Mittlerweile wurde auch schon eine zweite Bechergröße eingeführt. Und die zwei Frauen von den Läden „Dekagramm“ und „Gramm“ haben das auf Instagram verbreitet. Womit sie viele junge Menschen erreichen. Derzeit (Stand: 4.7.2019) nehmen insgesamt 45 Lokale daran teil, darunter Barista’s oder auch Mangold’s.
„Spielstraße Muchargasse“
Das war ein Projekt des Grünen Gemeinderatsklubs, genauer gesagt der Gemeinderätin Manuela Wutte. Es diente als Anregung, darüber nachzudenken dass wir in Graz viel mehr Platz für Kinder brauchen. Es braucht Stadtraum für alle. Und an einem Aktionstag wollten wir eben auf die Institutionalisierung dieses Bedürfnisses hinweisen. Es braucht einfach mehr Grünraum, mehr Lebensraum und weniger Parkplätze. Dafür sehe ich, dass Graz das Potential hat. Und dass man um die Folgen des Klimawandels bestmöglich zu kaschieren beziehungsweise zu kompensieren Bäume pflanzen muss. Parklets schaffen muss und auch sogenannte Wanderbäume. Weiters muss man zur Feinstaubreduktion den Radverkehr forcieren.
Haben Sie, abgesehen von diesen Projekten, andere vergangene und oder zukünftige Projekte in Ihrem Wirkungsbereich, die Ihnen als Stadträtin besonders am Herzen liegen?
Ja, da gibt es das Projekt Stadtbäume, das ich bereits in meiner ersten Gemeinderatssitzung vorgestellt habe. Es geht um die Förderung all jener Personen, die auf privatem Grund einen Baum setzen. Diese Förderung kann bis zur Hälfte des Preises für den Baum betragen. Wobei es eben um richtige, gescheite Bäume geht, im Umfang von 8–16 cm. Und zwar nur auf Privatgrund. Denn für den öffentlichen Grund bin ich nicht zuständig. Da kann ich nur lobbyieren, dass mehr Grünraum in Graz geschaffen wird. Und dass möglichst viele Bäume im öffentlichen Raum gepflanzt werden. Bezirke wie Jakomini, Lend oder Gries haben viele Leute die dort leben aber vergleichsweise wenig Grünraum.
Das Problem hierbei, in Wien wie in Graz, ist ja dass immer mehr Menschen zuziehen und daher viel gebaut werden muss, um Lebensraum für diese Zugezogenen zu schaffen. Und wo ein Haus errichtet wird, kann dann eben zugleich nicht auch eine Grünfläche sein…Aber es geht darum, Lebensraum zwischen den Häusern zu schaffen. Das ist freilich nicht überall möglich. Aber wegen des Klimawandels brauchen wir einfach mehr Grün. Wir brauchen Bäume, wir brauchen Grün auf den Fassaden und Grün auf den Dächern.
Ein weiteres Projekt, das mir als Frauenstadträtin besonders am Herzen liegt, ist die Situation für Frauen in dieser Stadt zu verbessern. Im Februar gab es die Veranstaltung „Die Stadt der Frauen“. Wo aus feministischer Sicht darauf hingewiesen wurde, auf die Bedürfnisse der Frauen besser einzugehen. Alles wurde aus der Perspektive der Frauen erzählt. Beziehungsweise auch aus der der Kinder und der älterer Menschen.
Nun zwei Fallbeispiele. Bitte um Ihre Meinung.
1. Sie sind ja auch Stadträtin für Gleichstellung. Was sagen Sie z. B. dazu, dass es zwar reine Ladies Fitnessstudios gibt, aber kein reines Männerfitnessstudio? In der Nähe von dort wo ich wohne, ist nämlich so ein Ladies Fitness. Aber das zu meiner Wohnung nächste Fitnesscenter das ich benutzen kann, ist schon am Hauptbahnhof. Und das ist nicht ganz um die Ecke. Außerdem ist der Hauptbahnhof ja nicht unbedingt der einladendste Ort, vor allem nicht abends….Es gibt ja auf der anderen Seite sehr wohl Männernotruf und Männerberatung….
Ich glaube, das ist eine Sache von Angebot und Nachfrage. Es hat sich einfach erwiesen, dass Frauen Räume und Plätze und Örtlichkeiten brauchen wo sie alleine trainieren können.
2. In Wien hat zuletzt eine Islam-Partei, mit der ja auch die Martha Bißmann (Ex-Liste-Pilz) in Verbindung gebracht wird dass sie für diese Partei kandidieren könnte, und die eben bei der Wien-Wahl im Herbst 2020 voraussichtlich antreten möchte, für Aufsehen gesorgt. Weil sie eigene Schwimmbäder nur für Frauen gefordert hat. Da hat dann die FPÖ sofort aufgeschrien. Man möge doch die abendländischen Werte und Sitten akzeptieren, auch wenn man Moslem ist. Wobei ich jedoch interessanterweise darauf verweisen möchte, dass gerade die nicht amtsführende Wiener Stadträtin der FPÖ Ulrike Nittmann, als sie das Amt übernommen hat heuer Ende März, sozusagen als Einstandsgeschenk mit einem ähnlichen Vorschlag hat aufhorchen lassen: Nämlich es möge doch in der U‑Bahn separate Bereiche / Waggons nur für Frauen, zumindest am Abend und in der Nacht, geben… Und da hat dann die SPÖ bzw. die für die Öffis zuständige amtsführende SPÖ-Stadträtin Ulli Sima, entgegnet, die Wiener Öffis seien der sicherste Ort der Welt, auch für Frauen in den Abend- und Nachtstunden.
Daher meine Frage: Wie sinnvoll erachten Sie es als Grüne Frauenstadträtin, wenn es eigene Bäder oder eigene Bereiche in Schwimmbädern oder auch in Öffis nur für Frauen gäbe, vor allem am Abend und in der Nacht? Ich möchte hier noch eine Anekdote erzählen. Ich hab ja 5 Jahre in Triest gelebt. Und war zwar selber nie in der Anlage. Aber dort gibt es noch ein nahezu einzigartiges Schwimmbad, das „Ausonia“, wo Männer und Frauen getrennt voneinander baden gehen. Auf der einen Seite die Männer und auf der anderen Seite, durch eine Mauer getrennt von den Männern, die Frauen und Kinder. Und auch Fitnessstudios gibt es ja, wie wir wissen, nur für Frauen. Daher wie ist Ihre Meinung dazu?
Ich finde, das eine sind die Fitnessstudios. Die sind privat. Und das regelt der Markt. Das andere hingegen ist der öffentliche Raum. Und der öffentliche Raum sollte sowohl für Frauen als auch für Männer da sein. Wir als PolitikerInnen haben die Aufgabe, den öffentlichen Raum so zu gestalten dass sich Frauen wie Männer gleichermaßen darin wohlfühlen. Dies gilt auch für die Spielplätze. Oft sind diese so angelegt, dass nur Platz für Burschen ist und zu wenig Platz für Mädchen. Daher haben wir neulich am Grünanger Spielplätze so umgestaltet, dass sich nun auch die Mädchen gleichermaßen darauf wohlfühlen. Der öffentliche Raum sollte durch nichts Getrenntes und auch nicht durch etwas Trennendes geprägt sein. Denn es sollen darin alle zusammenleben und sich wohlfühlen.
Zum Abschluss, also last but not least, unsere meistgestellte und uns sehr wichtige Frage: Was ist für Sie Living Culture – Unser Leitgedanke ist ja: Kultur aktiv in die Tat umsetzen und nicht nur passiv konsumieren.
Mit diesem Leitgedanken kann ich sehr viel anfangen. Ich kann nur bekräftigen, dass Kultur für alle da sein sollte. Und nicht nur für die Eliten. Es ist alles, was dazu beiträgt, ein guter Beitrag, ein gutes Projekt. So wie eben auch Ihre Zeitschrift beziehungsweise Ihr Projekt ein wichtiger Beitrag dazu ist.
Vielen Dank für das Gespräch.