„Hitler entsorgen“ im Haus der Geschichte Österreich
Text: Lukas Wogrolly / Living Culture; Fotos: Markus Wörgötter (Objektfotos), Klaus Pichler / hdgö (Ausstellungsansichten)
Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Frage mit drei Antwortmöglichkeiten. Aber im Gegensatz zu einer Quizsendung ist keine der drei Antworten zu 100% richtig. Denn es ist eine philosophische Frage: Wo nicht der Sinn und Zweck ist, im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, auf eine eindeutige Fragestellung eine eindeutige, einzigartige Lösung beziehungsweise Antwort zu finden. Sondern wo der Diskurs der Antwortfindung, das Sich-vor-Augen-Führen der unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten, oder in anderen Worten schlicht die Beschäftigung mit der Materie einen so sehr bereichert, dass es das wert ist, darüber einen philosophischen Diskurs zu führen. Aus diesem Grund entstanden in den 1990er-Jahren ausgehend von Paris die ersten philosophischen Cafés, deren Tradition Living Culture vor ein paar Jahren mit den “Philcafés” im Grazer Café Promenade fortsetzte. Genau deshalb entstand auch die Philosophie als Geisteswissenschaft, weil der menschliche Geist eben sich auch gerne mit Fragestellungen auseinandersetzt, die alles andere als eindeutig lösbar sind. Was sind nun diese ach so grundlegenden Fragestellungen der Philosophie von der Antike bis jetzt?
„Wozu leben wir?“, „Wofür wurden wir geboren?“, „Warum gibt es überhaupt die Menschheit?“, „Was bedeutet Zeit?“, „Was bedeutet für uns Veränderung?“ – um nur einige zu nennen.
Eine ähnlich philosophisch anmutende Fragestellung konfrontiert die Besucherinnen und Besucher in einer noch bis 8. Jänner 2023 laufenden Ausstellung des Hauses der Geschichte Österreich HDGÖ auf dem Wiener Heldenplatz. Dabei ist schon der Titel der Ausstellung selbst eigentlich eine philosophische Fragestellung, auch wenn am Ende kein Fragezeichen steht: „Hitler entsorgen“. Und passenderweise sind die Ausstellungsräume auf dem sogenannten „Alma-Rosé-Plateau“ genau neben jenem berühmten Balkon angesiedelt, von dem Adolf Hitler am 13. März 1938 vor dem auf dem Heldenplatz versammelten Volk sprach. Dieser Balkon war seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit einigen wenigen Ausnahmen praktisch ungenützt geblieben. Woran sich bis heute, fast achtzig Jahre nach Kriegsende, auch nichts geändert hat. Und auch wenn der Balkon selbst kein Teil der Ausstellung ist, beginnt hier schon die Herausforderung der gesamten Ausstellung: „Hitler entsorgen?“ oder: „Was tun mit NS-Objekten?“. Sei es nun dieser Balkon, oder seien es – wie in der Ausstellung – Objekte, die mit Nazi-Vergangenheit ins HDGÖ gelangten. Die Lösung dieser Problematik ist selbst problematisch, herausfordernd, philosophisch. Und genau deshalb wird es der Besucherin und dem Besucher schon zu Beginn überlassen, wie sie damit umgehen. Sowohl in Bezug auf den Balkon ist man dazu eingeladen, seine Ideen dafür kundzutun. Als auch, was die verschiedenen NS-Objekte, die sich immer wieder beim Durchstöbern verschiedener Dachböden oder beim Durchforsten vererbter Immobilien finden, betrifft. Denn der Hauptteil der Ausstellung sind vierzehn Gegenstände oder auch einfach Exponate, allesamt mit NS-Hintergrund, die auf unterschiedliche Art und Weise ins HDGÖ gelangten und nun in dieser Ausstellung zu sehen sind. Doch selbstverständlich kann nicht alles, was sich an Nazirelikten auf der Welt findet, in Museen oder Ausstellungen Verwendung finden. Und hier sind wir wieder bei der Fragestellung: „Was tun mit NS-Objekten?“ Denn, abgesehen von der musealen Verwendung und somit Aufbewahrung, stehen am Beginn der Ausstellung eben noch zwei weitere Möglichkeiten: Die eine ist relativ eindeutig: die Zerstörung. Und die andere ist der Verkauf, ein in den meisten Fällen illegaler Handel mit Nazigegenständen. Dass das von Staat zu Staat unterschiedlich geregelt ist, und Österreich eine der strengsten Rechtsgrundlagen überhaupt hat, wird thematisiert. Genauso wie ein Überblick gegeben wird, in welcher Weise der Handel mit solchen auf diversen Online-Plattformen auch tatsächlich betrieben wird. Welche Ausreden es dann gibt, sollte jemand damit konfrontiert werden, dass so ein Handel illegal sei. Und eben als was man diese Objekte ansehen müsse, wenn man sie erwerbe. Diese anderen beiden Antwortmöglichkeiten möchte ich nun nicht noch weiter beschreiben, um nicht zu viel der Ausstellung selbst vorzugreifen.
Zum Abschluss möchte ich hingegen nun noch meinen persönlichen Zugang ergänzen: Alle vierzehn gezeigten Objekte waren lange Zeit ohne deren „Nationalsozialität“ sozusagen zu sehen in Verwendung oder, wie im Falle der Bronze-Köpfe als Darstellung Adolf Hitlers aus 1938, auch jahrzehntelang im Parlament oder sonst wo einfach nur rumgelegen. Also eben einfach in Vergessenheit. Hierbei handelt es sich oft um „verharmloste“ Alltagsgegenstände wie Kriegsfotoalben, eine Tischlampe aus einem Kastenfuß, „Matratzenschoner aus zwei Heeresverpflegungssäcken der Wehrmacht“, und „Puppenwagen, hergestellt aus einer Feldpostkiste“. Oder eben auch um professionelles Equipment, wie im Falle eines Mikrofons vom ORF Oberösterreich, das Hitler verwendet hatte. Nicht zu vergessen die Sammelobjekte wie „Sammlung von Spendenabzeichen des Winterhilfswerks“ oder „Gedenkmedaille mit Porträt und Lebensdaten Adolf Hitlers (Vorderseite) sowie Aufschrift ‚Ein Volk / Ein Reich / Ein Führer‘ und Reichsadler (Rückseite)“. Und die „Bronzeköpfe als Darstellung Adolf Hitlers“. Ob man all diese Objekte Museen schenkt oder sie nicht doch einfach vernichtet, muss aus meiner Sicht für jeden Fall einzeln entschieden werden. Was damit passiert, wenn sie in falsche Hände geraten, zeigt eben auch die Ausstellung.
Allerdings würde ich gerne den Diskurs am Ende noch thematisch ein bisschen weiter spannen, um zu zeigen, wie schwierig diese hochsensible Problematik zu handhaben ist. Soll man dort, wo sich einst das „Lager Liebenau“ in Graz befunden hatte, Wohnungen bauen? Was tun mit dem Lueger-Denkmal in Wien und dem gleichnamigen Platz? Und ist es gerechtfertigt, dass Guglielmo Oberdan, der ein missglücktes Attentat auf Kaiser Franz Joseph geplant hatte, sowohl eine Büste in den Biennale-Gärten in Venedig gewidmet ist als auch ein ganz zentraler, wichtiger Platz in seiner Heimatstadt Triest? Eindeutige Antworten darauf kann und wird es nicht geben. Was nun mit Lueger in Wien passiert, wird sich zeigen. Zufrieden werden nie alle sein mit der jeweils gefundenen Lösung. Aber da wie dort geht es doch auch ums Philosophieren und um den bloßen Diskurs, die bloße Beschäftigung mit der Materie. Die unser aller Leben bereichern und uns bei der Vergangenheitsbewältigung helfen kann. Und genau deshalb lohnt es sich schon zur bloßen Bewusstmachung dessen, was nie wieder geschehen darf, diese Ausstellung zu besuchen.
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Hitler entsorgen — im Haus der Geschichte Österreich (hdgö) noch bis 8. Jänner 2023
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