Eine Ode an die Freude auf den und auf dem Markusplatz
Text: Lukas Wogrolly / Living Culture; Fotos: Living Culture
Wir schreiben Samstag, den 8. Juli 2023. Ich erinnere mich noch gut zurück an jenen Tag vor genau 52 Wochen, an dem es für mich zum ersten Mal geheißen hatte: La Fenice in Piazza San Marco. Der Wechsel von hell auf dunkel im Zuge des Sonnenuntergangs über einem der berühmtesten und schönsten Plätze der Welt, zusammen mit den eindrucksvollen Klängen aus Carl Orffs „Carmina Burana“, hatte mich damals in seinen Bann gezogen.
Schon damals war klar gewesen: Ein Jahr später sollte sich ein ähnliches Spektakel wiederholen. Wieder mit einem gut einstündigen Werk eines deutschen Komponisten, aber diesmal eines bedeutenderen.
Wie schon am Ende dieses Textes von 2022 angekündigt, stand 2023 nichts Geringeres als die Neunte Sinfonie von Ludwig van Beethoven auf dem Markusplatz auf dem Programm. Jene berühmte letzte vollendete Symphonie, deren Schlusssatz die Vertonung von Schillers „Ode an die Freude“ darstellt, und zwar „Freude schöner Götterfunken“, die heutige Hymne der Europäischen Union.
Von der damaligen Besetzung übrig geblieben sind der kanadisch-deutsche Tenor Michael Schade sowie Orchester und Chor des Teatro La Fenice unter der Leitung von Chormeister Alfonso Caiani. Neu hingegen dabei Sopran Federica Lombardi und Mezzosopran Veronica Simeoni, der US-amerikanische Bassbariton Mark S. Doss und natürlich, last but not least, der – wie Fabio Luisi aus einem Nachbarland Österreichs stammende – slowakische Dirigent Juraj Valčuha. Gekonnt führt er durch den eineinviertelstündigen musikalischen Abend, der Großteil davon rein instrumental. Denn Beethovens Neunte besteht aus insgesamt vier Sätzen, wobei nur der letzte eben mit Gesang untermalt ist.
Und das ist auch schon der Hauptunterschied zu 2022 mit „Carmina Burana“, als ohne jegliches rein Instrumentalstück der Chor durchgehend performt hatte. Hier bilden die ersten drei Sätze sozusagen die Ouvertüre zu einer Art „Finale furioso“. Sie haben unterschiedliche Längen, sind alle ausschließlich instrumental, und mit jedem Satz wechselt auch die Farbe der Lichtprojektion auf die umliegenden Gebäude. Während ich mich von der Musik einlullen lasse, und feststellen muss, dass mir der zweite Satz etwas bekannter klingt als der erste und der dritte, genieße ich den im Vergleich zum Vorjahr wesentlich weiter vorne gelegenen Sitzplatz, sehe beim Umdrehen nicht nur unzählige Sitzreihen hinter mir, sondern auch den Berühmten Campanile di San Marco. Und, während der längeren Instrumentalperformance erblicke ich auch einmal einen Fotografen, der gekonnt vom Balkon im 1. Stock des Gebäudes hinter dem Orchester einige Fotos schießt. Last but not least erhaschen meine Aufmerksamkeit zum einen ein Kameramann, der durch einige Sitzreihen mit seiner tragbaren Cam geht und eine weitere Kamera, die auf einer Schiene inmitten des Orchesters immer wieder hin und her fährt. Um 21:45 Uhr zirka ist es bereits stockdunkel und die berühmten Klänge der „Ode an die Freude“ ertönen zum ersten Mal. Anfangs, wie es die Partitur von Beethoven vorsieht, nur mit wenigen Instrumenten und noch in einem ziemlichen Durcheinander.
Bis dann eben der Chor seinen großen Auftritt hat und nicht zuletzt mit „O Freunde, nicht diese Töne! Sondern laßt uns angenehmere anstimmen und freudenvollere“ die Vokalperformance einleitet, zu der sich auch immer mehr Instrumente sozusagen dazugesellen. Dabei fällt mir auf, dass der Schlusssatz und somit die gesamte Neunte Sinfonie, nicht etwa in einem großen Schlussakkord der „Ode an die Freude“ endet, sondern rein instrumental und etwas unbekannter. Auch wird ausschließlich auf Deutsch gesungen, logischerweise, auch wenn es die Europahymne natürlich in verschiedenen Sprachen gibt.
Ein beeindruckender, bezaubernder Abend unter wolkenlosem Himmel, ohne Wartezeit beim Eingang und mit dem Gänsehautmoment der „Ode an die Freude“. Im nächsten Jahr wird es jedoch keine Fortsetzung dieser Reihe mit Konzerten auf dem Markusplatz geben. Das sagt zumindest das wenige Tage vor dem Konzert präsentierte Programm der Spielzeit 2023/24. Stattdessen wird es wieder ganz „klassisch“, auch Anfang Juli stehen 2 Indoor-Vorführungen im Teatro La Fenice an. Und zwar wie heuer mit einem berühmten deutschen Komponisten, nämlich Richard Wagner, von dem sein deutscher Landsmann Markus Stenz an zwei Abenden hintereinander ausgewählte Stücke, unter anderem aus „Tannhäuser“ und „Parsifal“, dirigieren wird.