Der Käfer
Text: SarahFee; Fotos: Sarah Ritter
Dort auf dem Vogelhaus, am Dach, lief ein Käfer, als wäre er gerade erst erwacht. Er kam geradewegs aus dem Vogelhaus und hatte es nicht eilig, obwohl er wahrscheinlich dem Vogel aus dem Schnabel gefallen war. Als sei es ihm egal, wieder eingefangen zu werden, spazierte er einfach, als wäre nichts passiert. Als sei es nur ein Traum, als Beute fast verschlungen worden zu sein. Und nun machte er einen Spaziergang, um sich von alldem zu erholen. Er sorgte sich nicht seines Lebens, das er schon fast verloren hatte; wahrscheinlich sind Käfer sehr vergesslich.
Glück war wohl auch nicht im Spiel, einfach nur eine Tatsache, von der niemand Notiz nahm, nicht der Vogel, auch nicht der Käfer. So war es wohl, entweder wirst du gefressen oder nicht, und alles geht weiter wie bisher. Ob jetzt ein Käfer weniger oder mehr, war für die Summe völlig unbedeutend, fiel nicht ins Gewicht. Es kannte ihn keiner und es will ihn auch keiner kennenlernen, man macht sich nicht mit Käfern bekannt. Dem Käfer ward es einerlei, es ist nicht vorgesehen, im Käferleben nach mehr zu streben, niemals würde ein Käfer einen intelligenten Gedanken hegen, er folgt nur einer Spur und hinterließ keine Spuren.
Wie ein Einbrecher in der Nacht und verhält sich, als wäre er Zuhause. Ist er erst mal im Haus, kennt er sich gut aus, doch hinaus findet er nicht von allein. Manchmal stirbt er am Bettpfosten, unterm Sofakissen oder auf dem Fernseher, doch meist wird er hinausbefördert oder irgendwo hineingesaugt. So ein Käferleben hat schon seine Tücken, es sind ihm nur nie irgendwelche Begrenzungen gesetzt, er umläuft sie einfach alle, und egal wie oft er denselben Weg dabei nimmt, er wird es nie müde, einen Ausweg zu finden oder als Beute zu enden, es scheint für ihn dasselbe, Mission erfolgreich.
Darum hat er auch jetzt auf dem Vogelhäuschen keine Eile, außerdem fehlen ihm zwei Beinchen. Würde er jetzt anfangen zu denken, dann würde er sich wohl Vorwürfe machen, nicht gut genug zu sein, sodass man ihn nicht zum Fressen gern hätte. Nicht mal vom Vogelhäuschen kann er sich hinunterstürzen, denn ach, er kann ja fliegen. Was, wenn er einfach seine Flügel nicht benutzte, doch es geht nicht anders, sie öffnen sich wie auf Kommando. Vielleicht erwischte es ihm ja im Fluge erneut, und es hat endlich ein Ende, das Käferleben.
Er war dem Vogel einfach aus dem Schnabel gefallen oder hatte der Vogel ihn etwa ausgespuckt, wohl zu hässlich, dabei wäre es den hungrigen Küken doch egal gewesen, die schauen eben nicht, ob ihr Essen schön sei. Was war er denn überhaupt für ein Käfer, etwa giftig? Es konnte sich hier doch nur um einen Irrtum handeln, geht es doch immer nur ums Fressen und Gefressenwerden, und warum sollte ausgerechnet er ungenießbar sein, für was und für wen? Könnte es denn sein, dass er am Anfang der Nahrungskette stand?
Ein denkender Käfer macht es jetzt auch nicht besser, das muss schon die Evolution gewusst haben, wenn die erst die Weltherrschaft an sich rissen, wäre die Welt nur eine ordinäre Mistkugel und ratzekahl gefressen. So ist es doch besser, wenn sie Käfer blieben ohne jedes Denkvermögen, sich auch gar nicht daran stören, gefressen zu werden, oder auf einem Vogelhaus zu sitzen mit zu wenig Beinchen, man gibt dem am besten keinerlei Aufmerksamkeit. Man ruft auch keinen Krankenwagen, man würde auch ziemlich komisch angesehen, riefe man wegen eines Käfers einen Krankentransport.
Selbst der Tierarzt würde staunen, ist er gar nicht ausgebildet für Käfer, und wie sollte er ihm die Beinchen überhaupt wieder anschrauben? Da bräuchte man wohl besser einen Uhrmacher, doch auch der zeigte einem, wie alle anderen, einen Vogel, und keiner würde den Käfer fressen wollen. Der Käfer wunderte sich über all diese Vögel, sie wollten ihn weder verspeisen noch heilen. Es musste doch einen Vogel geben, der ihn mochte, auch mit nur vier Beinchen. Das kann ja dann nur noch ein Kuckuck sein, wenn er Glück hat, war das Vogelhäuschen eine Kuckucksuhr.
Doch was nutzte es ihm am Ende, der Kuckuck wäre ja nicht echt, trotzdem wartete der Käfer bei jeder vollen Stunde, ob der echte Kuckuck rausguckte. Dem Käfer war die Zeit eigentlich egal, würde er sich erst für sie interessieren, müsste er sich fragen, wie wenig Zeit er doch hatte. Er wollte darum unbedingt noch ein Leckerbissen werden, komme was wolle, er wollte es schaffen und bis dahin wollte er sich von niemanden mehr fressen lassen. Die Zeit musste ihm wohl wohlgesonnen sein, sonst hätte sie ihn nicht aufgefangen und wollte ihm nie mehr den Vogel zeigen, endlich wurde er ernst genommen.