Der fliegende Holländer an der Oper Graz
Text: Monika Wogrolly / Living Culture; Fotos: Oper Graz
Fast ungewohnt, wieder ohne Maske in die Oper zu gehen. Viele trugen sie zur Sicherheit noch immer. Erinnerungen flogen daher. Im Fluge vergingen auch die drei Aufzüge des „Fliegenden Holländer“. Und versetzten das Publikum in eine typisch Wagnersche Trance, die zugleich entspannend wirkte und dank der vitalen Inszenierung durchaus Pfiff hatte. Und die Romantik der Oper, die für Personen ab vierzehn Jahren empfohlen wird, war am Premierenabend weniger im eher bewusst minimalistischen Bühnenbild als in dramaturgisch berauschenden Darbietungen fühlbar.
Kurz zur Handlung: Es geht um ein Dilemma und eine Suche, um Ambivalenzen zwischen Sehnsucht nach und Angst vor Nähe. Was geschieht mit dem Holländer? Seit Unzeiten muss er über die Meere segeln. Ausgerechnet in dem für Beziehungen typischer Weise verflixten siebenten Jahr ist Erlösung für ihn möglich. Und da erscheint die Lichtgestalt einer Traumfrau. Senta, Tochter des Kaufmanns Daland, verkörpert durch Helena Juntunen, die auf der dynamisch bevölkerten Bühne zunächst nur klein, zart und zerbrechlich – aber dann unglaublich stark wirkt. Und die dann umso stimmgewaltiger ihre Liebes‑, ja ‑Fähigkeit und ‑Treue proklamiert. Nachdem der Gesang in deutscher Sprache konstant von Übertiteln begleitet ist, hat man die Wahl, konzentriert auf Syntax und Semantik dem Geschehen zu folgen oder in der dramatischen Musik ganz zu versinken. Wen wundert’s: Und immer, wenn es um die Liebe geht, lässt Eifersucht nicht lang warten. Beim Holländer sind buchstäblich dahinwogende, überschäumende Emotionen im Spiel: Da sind Zweifel an der Loyalität und Treue sowie Bindungs- und Verlustängste, wenn man auch durch die psychologische Brille draufschaut.
In der Grazer Neuproduktion des „Fliegenden Holländer“ führte erstmals Sandra Leupold Regie, die sich bereits am Staatstheater in Mainz mit „Tannhäuser“ und „Parsifal“ auseinandergesetzt hatte und für die Inszenierung von „Don Carlo“ mit dem Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet worden war.
Zu Richard Wagner selbst: Nachdem aller guten Dinge drei sind, musste sich der Komponist ebenso oft an großen geschichtsträchtigen und romantischen Sujets ausprobieren und somit ausreichend „Selbsterfahrung“ sammeln, ehe er in seiner vierten Oper bei sich selbst ankommen, landen konnte. Auch Biographisches schwingt mit: Richard Wagners eigene Erfahrung einer stürmischen Seefahrt von Riga nach London, wobei er vor der Küste Norwegens in Todesangst verfallen war, bewegte ihn, inhaltliche Elemente, die ihn zu „Parsifal“ inspirierten sollten, einzubringen.
Dramaturg Bernd Krispin und Dirigent Roland Kluttig lieferten einzigartige Stimmungen und Emotionen wie das gesamte authentische Ensemble. Ein wahrhaft erfüllender Abend, bei dem man in Gefühlsstürme abdriften und so sein eigenes inneres Tohuwabohu ein wenig glätten kann oder neue Impulse mitnehmen, um Gefühle wieder zuzulassen und zu leben. Prädikat sehens- und vor allem hörens- und erlebenswert.