ABSCHIED MIT AMORE — OKSANA LYNIV
Text: Monika Wogrolly, Lukas Wogrolly; Transkription: Claudia Simscha; Fotos: Werner Kmetitsch (1), Christian Schmidt (10)
Frau Chefdirigentin, wie fühlen Sie sich in Graz? Fühlen Sie sich zu Hause?
Danke, gut, ja jetzt schon, denn nach der dritten Spielzeit ist man tatsächlich wie zu Hause: Ich kenne schon das Orchester und alle Musiker und Sänger, die Stadt, ja das ist sehr angenehm!
Und was wird jetzt folgen nach der Spielzeit?
Nach der Spielzeit bin ich erstmal freiberuflich, und ich habe viele schöne Angebote — die kann ich jetzt aber noch nicht alle nennen.
Ich kenne doch einige Dirigentinnen, die nach ihrem Studium leider ganz etwas anderes ausüben mussten, beziehungsweise müssen, weil die passenden Kontakte fehlen. Kontakte, über die Männer vielleicht vermehrt verfügen — würden Sie sagen, es gibt da eine Genderproblematik? Was würden Sie einer jungen Dirigentin nach dem Abschluss raten?
Ich glaube nicht, dass es jetzt noch eine sehr große Genderproblematik gibt. Gerade jetzt ist alles so im Aufbruch, dass jede junge begabte, fleißige Dirigentin auch ausreichend Aufmerksamkeit und Publizität bekommt. Ich merke das bei meinen jungen Kolleginnen, die allesamt viel schneller in professionellen Kontext kommen als früher. Also als vor 10, 15 Jahren wo ich fertig studiert hatte. Man hat damals viel skeptischer auf die Leistungen einer Frau geschaut! Hingegen jetzt, glaube ich, ist wirklich die beste Zeit durchzustarten, erfolgreich zu sein.
Welche Rolle spielen hierbei die Netzwerke?
Die Netzwerke spielen hierbei eine große Rolle, egal ob Mann oder Frau, Netzwerke sind essenziell. Die theoretische Ausbildung ist das eine. Die Praxis allerdings, das andere — und gerade in Graz geben wir hier den jungen Leuten sehr schnell die Chance und den Raum Praxis zu sammeln und Herausforderungen anzunehmen.
Würden Sie gerne einmal in Wien das Neujahrskonzert dirigieren?
(lacht) Ja, wenn sich die Möglichkeit ergibt.
Was hat man denn als Dirigentin für Ziele, Traumorte? Steckt man sich diese selbst?
Ich liebe Opern und Symphoniekonzerte. Und natürlich gibt es Traumhäuser, die legendär sind wie München, Wien, Paris, Berlin…. aber das kommt alles nach und nach, wenn man wirklich gut ist.
Als Psychotherapeutin und Beziehungsexpertin interessiert mich auch: Wie läuft das ab, wenn man das erste Mal vor dem Orchester steht? Wie baut man hier eine Verbindung auf, sodass die individuelle Handschrift der Dirigentin auch erkannt und angenommen wird?
Es braucht natürlich Charisma und Ausstrahlung. Und die Kontaktherstellung muss meist sehr schnell vonstattengehen. Bei den meisten Konzerten hast du nur 2 Tage Vorbereitung. Das heißt, du musst die Leute wirklich gleich packen. Aber das ist das Interessante bei Musikern, jeder hat seinen Instinkt. Und instinktiv, ohne dass wir uns lange kennen, können wir durch die Sprache der Musik, durch unsere Energie spüren. Da ist es als Dirigentin natürlich ganz wichtig, die Leute gleich zu packen und mitzunehmen, das ist immer ganz wichtig.
Sie sind ja aus der Ukraine und haben Herrn Honorarkonsul Möstl ja bereits getroffen…
Ja, und ich freue mich wahnsinnig, dass es in Graz einen ukrainischen Honorarkonsul gibt. Ich schätze jede Begegnung. Und seit 2018 haben wir schon viele schöne und gute Konzert mit der Unterstützung des Honorarkonsuls gespielt. Und wir sind sehr stolz darauf, dass so große Projekte gerade in Graz, und nicht beispielsweise in Wien, stattfinden. Und gerade das Konzert für die Menschenrechte fand ich sehr wichtig, denn die Ukraine hat hier doch noch ihre Konflikte — daher ist es großartig, wenn junge Musiker aus der ganzen Ukraine kommen, und in so einem schönen Konzertsaal beispielsweise Beethovens 9. Symphonie spielen. Das hat für mich eine sehr tiefe Aussage, in Hinblick auf die universellen Menschenrechte.
Ja, das stimmt, es handelt sich ja hierbei um etwas Soziokulturelles, etwas dass alle verbindet. Das ist der unsagbare Verdienst der Kunst! Andere Frage, wo fühlen Sie sich denn besonders zu Hause?
Zu Hause fühle ich mich in meinem Heimatort und vor allem auch in Lemberg, wo ich sehr viel Zeit verbracht habe. Und auch heute noch verbringe, wie beispielsweise durch die Leitung des jährlichen Mozart-Festivals. Aber als Künstler bekommt man, dank der großartigen Momente und Gefühle eines gelungenen Auftritts, sehr oft dieses besondere Gefühl geschenkt. Ich habe viele einzigartige Momente, an die ich mich gerne erinnere.
Sparkling moments! Man merkt auch sofort Ihre große Leidenschaft. Gibt es auch abseits der Musik Orte oder Momente, wo Sie auftanken und Kraft schöpfen?
Ja klar, hauptsächlich mit meinem Mann, den habe ich übrigens auch durch den Beruf kennengelernt, (lacht). Ja, und ich habe viele großartige Freunde, tiefe Verbindungen aus früher Kindheit und Jugend sind hier besonders stabil. Ja, und ich liebe reisen, die vielen unterschiedlichen Länder und deren Kultur zu entdecken. Ebenso lebe ich die Natur, Wald, Berge, die geben auch sehr viel Energie.
War der Gustav-Mahler-Wettbewerb ein Schritt zu Ihrem Durchbruch?
Ja, es haben sich dadurch sicherlich neue Chancen und Möglichkeiten ergeben.
Wie kamen Sie eigentlich nach Graz?
Ich war schon vier Jahre Assistentin des Chefdirigenten, dann war in Graz die Stelle ausgeschrieben. Und ich habe mich sehr gefreut diese anzunehmen.
Schön! Und Sie leiten ja wie bereits angesprochen, das jährliche Festival in Lemberg. Was wird hier alles angeboten?
Nicht nur Mozart ‑Werke, auch zeitgenössische Werke, Performance; wissenschaftliche Konferenzen und Ausstellungen werden hier angeboten, das Festival dauert auch 8–9 Tage.
Wow! Und merken Sie eigentlich Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich, aus der Ukraine stammend haben Sie hier ja Außenperspektive?
Ja, Österreich ist definitiv ein traditionsgebundeneres Land. Etwas ruhiger vom Tempo her. Die Kulinarik und die Liebe zu Genuss und Gemütlichkeit zeichnen Österreich schon sehr stark aus.
Was würden Sie jemanden sagen, warum sollte man nach Graz kommen?
Graz ist für mich eine versteckte Oase. Alleine wenn man am Flughafen ankommt, spürt man wie toll die Luft ist, es gibt so viele Wälder und Berge. Gleichzeitig bietet Graz ein einzigartiges historisches Zentrum mit toller Architektur, hier herrscht eine märchenhafte Atmosphäre! Der Schlossberg ist für mich ein ganz besonderer Ort. Ich liebe es, im Herbst auf den Schlossberg zu gehen; es blühen tolle Blumen, beeindruckende Vegetation, man fühlt die Geschichte und wenn man hinabschaut, sieht man sogleich auf die Murinsel. Die Koexistenz vieler Stilrichtungen und Epochen macht Graz sehr schön, und natürlich gibt es auch viele gemütliche Lokale und hervorragende Einkaufsmöglichkeiten.
Fällt Ihnen der Abschied von Graz schwer oder freuen Sie sich?
Ich freue mich sehr, wiederzukommen! Es gibt schon sehr gute Optionen und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit.
Was bedeutet für Sie „living culture“?
Ich leite oft an drei oder vier verschiedenen Orten Projekte gleichzeitig, da habe ich mixed culture lacht…es ist so viel austauschbar in unserer Welt und doch gibt es besonders Lieblingsstücke, Werke, Plätze die man auf keinen Fall missen möchte.
Quasi die Hotspots der Seele lacht
Genau! Sei es die Lieblingsspeise oder der besondere Ausblick, das tut gut!
Das stimmt, vielen Dank für das spannende Gespräch mit Ihnen!